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Was ist "Persönlichkeit"?

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Wohl kaum etwas ist so zentral im Leben jedes Einzelnen wie die „Persönlichkeit“. Sie ist bei jedem Individuum einzigartig und unverwechselbar. Doch was ist das eigentlich, was wir als „Persönlichkeit“ bezeichnen? Und warum gibt es so viele verschiedene Definitionen? Diesen Fragen ist Jana Uher nachgegangen. In einer umfassenden Trilogie an Forschungsartikeln hat sie die Meta-Theorien – also die „Theorien hinter den Theorien“ – untersucht, die Wissenschaftler über Individuen und „Persönlichkeit“ entwickelt haben. Diese Perspektive wirft ein neues Licht auf die vielen existierenden Definitionen von „Persönlichkeit“ und deckt Gemeinsamkeiten und Unterschiede auf. 


Was ist „Persönlichkeit“? Jeder hat dazu eine Meinung, denn „Persönlichkeit“ ist in erster Linie ein wichtiges Konzept der Alltagspsychologie, mit dem wir Individuen voneinander abgrenzen und sie für uns unterscheidbar machen. Jeder Erwachsene besitzt ein umfangreiches Alltagswissen darüber, wie die Mitglieder seiner spezifischen sozialen, kulturellen und sprachlichen Gemeinschaft die Dinge der Welt erklären und einordnen. 

Das fängt bereits mit dem Erwerb der Sprache an. Denn Sprache wird dazu genutzt, Informationen und Wissen zu kommunizieren und festzuhalten. Daher sind in jedem Wort viele Bedeutungen enthalten—manchmal mehr und manchmal weniger offensichtlich, denn Wörter und Bedeutungen können sich auch mit der Zeit verändern. 

Für die „Persönlichkeits“-Forschung ist dies Segen und Fluch zugleich. Denn einerseits können alle Wissenschaftler auf ihr umfangreiches Alltagswissen über Individuen zurückgreifen. Dieses Wissen wurde in ihren jeweiligen soziokulturellen und sprachlichen Gemeinschaften aus den Erfahrungen und Vorstellungen vorheriger Generationen entwickelt und hat sich für die Bewältigung des sozialen Alltagslebens als nützlich erwiesen. 

So enthält unsere Alltagssprache eine Vielzahl von Wörtern, mit denen wir komplexe Informationen über Individuen einfach und schnell kommunizieren können. Aus der kurzen Bemerkung jemand sei „mürrisch“, ziehen wir Schlüsse über ein Individuum, das wir selbst noch gar nicht getroffen haben und richten unser Handeln daran aus. Dies ist möglich, weil unser Alltagswissen ein differenziertes System sozial-kognitiver Kategorien enthält, die direkt oder indirekt in unseren Alltagswörtern ausgedrückt sind (siehe Science Blog "Die menschliche 'Persönlichkeits-Brille' – Wie wir uns Eindrücke von Individuen bilden").

Doch andererseits bringen dieses Alltagswissen und unser Alltags-Wortschatz für die „Persönlichkeits“-Forschung auch eine Vielzahl tiefgreifender Probleme mit sich, wie Jana Uher in ihrem neuen und disziplin-übergreifenden Wissenschaftsparadigma zur Erforschung von Individuen aufzeigt (siehe Science Blog „Ein neues Wissenschaftsparadigma für die Erforschung von Individuen“). Denn Forscher können die Wörter und Bedeutungen der menschlichen Alltagspsychologie nicht einfach ignorieren. Schließlich sind sie ein wichtiger Teil der Sprache und des Denkens jedes Menschen, betont die Forscherin. 

Zudem haben alle Forscher vor dem Hintergrund ihrer eigenen sozialen, kulturellen und sprachlichen Herkunft auch ihre ganz persönlichen Vorstellungen und Überzeugungen, was unter dem Begriff „Persönlichkeit“ denn nun zu verstehen ist. Wissenschaftler, die Individuen erforschen, sind immer auch selbst Individuen mit ihren eigenen individuellen Ansichten und Vorstellungen von der Welt. Deshalb sind sie von ihren Forschungsgegenständen nicht unabhängig—im Gegensatz etwa zu Physikern oder Chemikern, stellt Jana Uher klar. Kein Wunder, dass es bereits 1937 mehr als 50 Definitionen von „Persönlichkeit“ gab. 

Wie einfach haben es da die Quantenphysiker! Sie können unbelastet vom Alltagswissen an ihre Arbeit geben und müssen keine Rücksicht auf bestehende Wortbedeutungen nehmen. Deshalb können sie völlig neue Begriffe und eine eigene Fachsprache entwickeln. Die vielen, oft ungenauen und mitunter auch widersprüchlichen Wörter aus dem Alltag sind für die Erforschung von Individuen und ihrer „Persönlichkeit“ ein echtes Dilemma. Doch viele Wissenschaftler sind sich dessen oft gar nicht so bewusst, stellt Jana Uher kritisch fest.

Wohl deshalb basiert ein Großteil der bisherigen „Persönlichkeits“-Forschung auf den personen-beschreibenden Worten unserer Alltagssprache, vor allem Adjektiven wie gesellig, ängstlich, neugierig, cool oder mutig. Solche Wörter werden in „Persönlichkeits“-Fragebögen verwendet, um Individuen zu beurteilen. Doch mit Fragebögen kann man bestenfalls untersuchen, was Menschen über sich und andere Individuen denken. Fragebögen können jedoch nicht messen, wie sich die beurteilten Individuen tatsächlich verhalten.

Deshalb unterscheidet Jana Uher die Sprache von den vielen anderen Phänomenen, die damit bezeichnet werden. Denn Sprache ist nicht dasselbe wie Verhalten. Sprache ist auch etwas anderes als der Körperbau, die Physiologie, Psyche und das Erscheinungsbild, das Individuen selbst an sich aktiv verändern können, etwa durch Kleidung, Frisur oder Tattoos. 

„Viele Forscher unterliegen einem Trugschluss, der aus unserem Alltagsdenken herrührt. Denn wir denken oft intuitiv, dass unsere Worte in direktem Bezug zu den Dingen stehen, die sie bezeichnen. Das geht aber nur bei konkreten Dingen, die wir direkt wahrnehmen können, wie etwa einem Tisch, einem Baum oder dem Gesicht einer Person. Bei allen Worten, die sich auf abstrakte oder nur von uns erdachte Dinge beziehen, ist das nicht möglich. Denn so, wie wir uns diese Dinge denken, existieren sie nicht greifbar in der physischen Realität“, so die Wissenschaftlerin. „Persönlichkeit“ gehört dazu. 

Was also ist „Persönlichkeit“? Die gängigen wissenschaftlichen Definitionen von „Persönlichkeit“ als „individueller Charakteristika“ oder „einzigartiger Besonderheiten“ sind erstaunlich vage, findet Jana Uher. Vor allem bleibt unklar, was denn nun als „individuell charakteristisch“, „einzigartig“ oder „besonders“ anzusehen sind und warum, kritisiert sie. 

In ihrer Trilogie hat die Forscherin gezeigt, dass alle Definitionen von „Persönlichkeit“ im Grunde etwas bezeichnen, was spezifisch für ein Individuum ist. Sie betont: „Individual-spezifisch kann aber nur das sein, was sich zwischen Individuen unterscheidet. Denn was alle Individuen in ähnlicher Weise zeigen, kann nicht spezifisch für ein einzelnes Individuum sein. Zudem müssen diese individuellen Unterschiede nicht nur zufällig, sondern immer wieder in ähnlicher Weise auftreten.“ Das heißt, das Konzept der „Persönlichkeit“ bezeichnet Muster im Auftreten von Ereignissen - etwa von Körpermerkmalen oder Verhaltensweisen - die zwischen Individuen variieren und die gleichzeitig über einige Zeit relativ stabil sind. 

Bei Phänomenen, die äußerlich an Individuen beobachtbar sind und die sich nicht oder nur sehr langsam über die Zeit verändern, wie etwa die Augenfarbe oder die Körpergröße, kann man Individuen direkt miteinander vergleichen, zumindest wenn sie nebeneinander stehen. Dann wird schnell deutlich, wer z.B. größer ist als andere oder längere Haare hat.

Aber wenn sich die beobachtbaren Ereignisse sehr schnell von einem Moment auf den nächsten ändern – so wie im Verhalten – dann sind direkte Vergleiche nicht mehr so einfach möglich. Im Alltag ist es sehr selten, dass mehrere Individuen exakt dasselbe Verhalten zeigen – wie beim Wettlauf – so dass man ihr Verhalten direkt miteinander vergleichen kann. 

Deshalb kann man nur durch wiederholte Beobachtungen herausfinden, welches Individuum welches Verhalten im Schnitt häufiger zeigt als andere. Wer bewegt sich im Alltag mehr als andere? So direkt kann man das oft nicht sagen. Das kann man erst mit technischen Mitteln wie Schrittzählern herausfinden, die die Aktivität des Individuums für einige Zeit aufzeichnen. Dasselbe gilt auch für viele physiologische Phänomene. Herzschlag, Cortisol, Blutzucker – all das kann sich relativ schnell ändern und unterliegt bei jedem Individuum deutlichen Schwankungen sowohl innerhalb eines Tags und auch über verschiedene Tage hinweg. 

Diese Schwankungen sind oft viel größer als die Unterschiede, die zwischen den durchschnittlichen Werten der Individuen auftreten. Das macht es oft sehr schwierig, individuelle Unterschiede zu finden, die über einige Zeit immer wieder in ähnlicher Weise auftreten. Es ist also oft gar nicht immer so einfach herauszufinden, was spezifisch für ein Individuum ist.

Deshalb sind in der „Persönlichkeits“-Forschung kompliziertere Methoden erforderlich als in anderen Forschungsbereichen. „Vor allem wird deutlich, dass ‚Persönlichkeit’ nicht direkt in einem bestimmten Augenblick beobachtet werden kann, so wie wir eine Verhaltensweise oder die Haarfarbe eines Individuums direkt wahrnehmen können“, so Jana Uher. 

Bei psychischen Phänomenen wie Gedanken und Gefühlen ist es besonders kompliziert. Denn wir können Erleben immer nur bei uns selbst aber bei niemandem sonst wahrnehmen. Direkte Vergleiche zwischen Individuen sind deshalb nicht möglich. 

In ihrer Trilogie an Forschungsartikeln hat Jana Uher gezeigt, dass sich alle psychologischen Definitionen von „Persönlichkeit“ auf etwas beziehen, was spezifisch für ein Individuum ist. Das zeigt sich auch in den Analysemethoden, die Psychologen zur Untersuchung anwenden. „Aber es gibt sehr unterschiedliche Auffassungen darüber, in welchen konkreten Phänomenen Individual-Spezifität als ‚Persönlichkeit’ angesehen wird“, stellt sie fest.

Viele Psychologen konzentrieren sich auf die Psyche. Andere verstehen „Persönlichkeit“ als Individual-Spezifität im Erleben und Verhalten. Manche zählen auch die Psycho-Physiologie dazu. Wieder andere betrachten auch den Körperbau als Teil der „Persönlichkeit“ eines Individuums, doch viele Psychologen lehnen dies strikt ab. Eine ganz andere Gruppe von Psychologen versteht „Persönlichkeit“ als kulturelles Phänomen als etwas, was Individuen von ihrer sozialen Gemeinschaft zugeschrieben wird und das deshalb sozial erschaffen ist.

Hinter diesen unterschiedlichen Konzepten stehen ganz unterschiedliche Grundannahmen. „Diese Grundannahmen müssen genauer untersucht werden“, sagt Jana Uher, „sonst reden Forscher aneinander vorbei“. Anstatt bestimmte Bereiche von vornherein auszuschließen, definiert sie in ihrem neuen Paradigma „Persönlichkeit“ daher als Individual-Spezifität in allen Phänomenen, die an Individuen erforscht werden, also in Sprache, Physiologie, Psyche, Körperbau, Verhalten, dem Lebensumfeld und im äußeren Erscheinen, das Individuen an sich selbst verändern. Erst wenn all diese verschiedenen Arten von Phänomenen gleichermaßen erforscht werden, können ihre Zusammenhänge systematisch untersucht werden. 

Die derzeit am meist verwendeten „Persönlichkeits“-Modelle, wie die Big Five und das Fünf-Faktoren Model, wurden bisher ausschließlich aus der Alltagssprache und dem Alltagswissen heraus entwickelt - aber noch keines, zum Beispiel, auf der Basis des menschlichen Verhaltens. Es wird höchste Zeit, Individuen in all den verschiedenen Arten von Phänomenen und aus der fachlichen Sicht verschiedener Disziplinen systematisch zu erforschen – statt nur aus dem spezifischen Blickwinkel der Alltagspsychologie.

Wissenschaftliche Publikationen:

Uher, J. (2015a). Conceiving "personality": Psychologists’ challenges and basic fundamentals of the Transdisciplinary Philosophy-of-Science Paradigm for Research on Individuals. Integrative Psychological and Behavioral Science, 49, 398-458.  https://doi.org/10.1007/s12124-014-9283-1  [Download]  [Highlights]

Uher, J. (2015b). Developing "personality" taxonomies: Metatheoretical and methodological rationales underlying selection approaches, methods of data generation and reduction principles. Integrative Psychological and Behavioral Science, 49, 531-589.  https://doi.org/10.1007/s12124-014-9280-4  [Download]  [Highlights]

Uher, J. (2015c). Interpreting "personality" taxonomies: Why previous models cannot capture individual-specific experiencing, behaviour, functioning and development. Major taxonomic tasks still lay ahead. Integrative Psychological and Behavioral Science, 49, 600-655.  https://doi.org/10.1007/s12124-014-9281-3  [Download]  [Highlights]

Uher, J. (2013). Personality psychology: Lexical approaches, assessment methods, and trait concepts reveal only half of the story. Why it is time for a paradigm shift. Integrative Psychological and Behavioral Science, 47, 1-55.  https://doi.org/10.1007/s12124-013-9230-6  [Download]  [Highlights]

Letzte Aktualisierung 17.10.2014

Keywords: Persönlichkeit, individuelle Unterschiede, Persönlichkeitsunterschiede, Psyche, Persönlichkeitsmodelle, Persönlichkeitstaxonomien, lexikalische Ansätze, lexikalisches Modell, Verhaltensunterschiede, Fragebögen, Persönlichkeitsfragebogen, Beurteilungen, Assessment, Transdisziplinäres Wissenschaftsparadigma zur Erforschung von Individuen, TPS-Paradigma.

 

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